Vortrag von Dr. Elke Gryglewski
51% der jüdischen Bürgerinnen und Bürger Deutschlands hat laut einer Umfrage schon einmal darüber nachgedacht, das Land zu verlassen. Immer mehr sind Jüdinnen und Juden hierzulande von antisemitischen Übergriffen unterschiedlichster Art bedroht. Zahlen und Fakten, die dies belegen, sind höher als im Durchschnitt der EU. Deutschland galt bisher als vorbildlich für die Aufarbeitung von Antisemitismus und Holocaust. Nicht zuletzt wird seit vielen Jahren am 9. November auch in unserer Region Erinnerung und Mahnung mit dem Gedenken an die Reichspogromnacht wach gehalten. Es ist dem Engagement zahlreicher Menschen zu verdanken, dass durch Erinnerungsorte und Veranstaltungen vielfältigster Art Antisemitismus als ideologischer Motor für dieses Verbrechen durchschaut und seine zerstörerische Unmenschlichkeit entlarvt werden kann.
Nach und nach, besonders im Zuge des Zusammenbruchs der Sowjetunion, wanderten viele Jüdinnen und Juden in der Hoffnung auf ein friedliches und unbehelligtes Leben nach Deutschland aus. In den zurzeit ca. 105 jüdischen Gemeinden entwickelte sich eine bemerkenswerte Vielfalt, Lebendigkeit und Komplexität.
Die traurige Wahrheit: Antisemitismus war in Deutschland auch nach 1945, als die Beendigung der Nazi-Herrschaft den in diesem Ausmaß noch nie dagewesenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein Ende setzte, keineswegs einfach in der Versenkung verschwunden. Zu keinem Zeitpunkt blieb jüdisches Leben nach 1945 unbeeinträchtigt. Besonders seit dem Krieg zwischen Israel und der Hamas ist die Zahl von tätlichen Angriffen, Beleidigungen, Drohungen und auch versteckteren Formen des Antisemitismus noch einmal sprunghaft gestiegen. So hat sich z. B. die Zahl antisemitischer Straftaten, die von einer hohen Dunkelziffer geprägt ist, zwischen 2022 und 2023 verdoppelt. Zusätzlich angeheizt durch kaum gebremste Hetze im Internet wird die Hemmschwelle für Antisemitismus im öffentlichen und privaten Raum immer tiefer gesetzt. Jüdinnen und Juden müssen sich wieder bedroht, belästigt, angegriffen bzw. grundsät zlich diskriminiert fühlen. Viele vermeiden mittlerweile verstärkt das Tragen jüdischer Symbole, verbergen unter Umständen ihre Identität oder fühlen sich generell ausgegrenzt aus dieser Gesellschaft. Auch Erinnerungsorte und Gedenkstätten sind vor Angriffen immer weniger sicher.
Die Erkenntnis, dass Antisemitismus unabhängig von Bildungsstand und Herkunft in vielfältigen, nicht immer sofort erkennbaren Formen als Bestandteil von menschenverachtendem, undemokratischem Denken und Handeln auftritt, bedeutet nichts anderes, als dass alle Bürgerinnen und Bürger unseres Landes – keineswegs nur die jüdischen – von Antisemitismus betroffen sind. Menschen- und Grundrechte, deren Einhaltung und ggf. Verteidigung, auch wenn man selbst nicht unmittelbar Adressat von Diskriminierung ist, sind die Basis der Demokratie. Menschenverachtendes Denken oder gar Handeln vergiften das gesellschaftliche Klima, öffnen weitere Türen und Tore für jegliche Art von Diskriminierung.
Dr. Elke Gryglewski setzt sich nicht zuletzt als Geschäftsführerin der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten ausführlich mit Geschichte und Auswirkungen von Antisemitismus auseinander. Die Stiftung nimmt die Aufgabe wahr, den Nationalsozialismus und seine Folgen aufzuarbeiten, historisch-politische Bildung zu fördern und zur Reflexion auf die Gegenwart anzuregen. Verbunden mit ihrer Aufgabe auch als Leiterin der Gedenkstätte Bergen-Belsen und verfügt Dr. Gryglewski über viel Erfahrung mit Konzepten zur antisemitismuskritischen Bildung, zu der sie selber seit vielen Jahren beiträgt. Die Komplexität des Antisemitismus, die unterschiedlichen Quellen, aus denen er sich speist verbunden mit der Schwierigkeit der Wahrnehmung antisemitischer Vorstellungen gerade auch im Hinblick des Krieges zwischen Israel und der Hamas werden wichtige Themen des Vortrags sein, am 20.11., 19.00 im GröschlerHaus.
Der Eintritt ist frei.