Die Verfolgung homosexueller Männer nach § 175 StGB in der Bundesrepublik Deutschland am Beispiel des Strafvollzugs in Wolfenbüttel

Ein Angebot der Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel

Während die Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 in vielerlei Hinsicht einen positiven Neuanfang darstellte, blieb die rechtliche Lage für homosexuelle Männer im Vergleich zur nationalsozialistischen Zeit weitgehend unverändert. Der von der Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel angebotene Workshop verdeutlicht die Versäumnisse in der frühen Bundesrepublik, zeigt die Konsequenzen für den Alltag homosexueller Männer auf und stellt die Situation verurteilter Homosexueller in Haftanstalten am Beispiel der JVA Wolfenbüttel dar.

Der historische Hintergrund

Der § 175 Reichstrafgesetzbuch stellte seit 1872 homosexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe. Die Nationalsozialisten verschärften 1935 den Paragraphen und verboten einschlägige Blicke, Berührungen und Küsse. Ca. 50.000 Männer wurden in der NS-Zeit verurteilt. Im Falle einer Haftstrafe verbüßten sie in der Regel ihre Strafe in Gefängnissen und Zuchthäusern. Häufig wurden sie im Anschluss an die Haft in ein Konzentrationslager überstellt, wo etwa 60 Prozent von ihnen ermordet wurden.

Das Leiden dieser Männer endete jedoch 1945 mit dem Ende des Nationalsozialismus und der Befreiung nicht: Homosexuelle Handlungen waren auch während der britischen Besetzungszeit strafbar. Seit 1949 galt der § 175 in der Bundesrepublik Deutschland unverändert in der verschärften Fassung der Nationalsozialisten.

Die Bundesrepublik hat sich damit schwergetan, dieses Unrecht nicht nur zu beseitigen, sondern auch aufzuarbeiten und sich zu entschuldigen. Schließlich wurde der § 175 StGB erst 1994 endgültig abgeschafft. Die Gesetze zur Rehabilitierung der betroffenen Männer wurden sogar erst 2002 für die Zeit des Nationalsozialismus und 2017 für Verurteilungen nach dem 8. Mai 1945 verabschiedet.

Die Frage der Menschenwürde unabhängig von sexueller Orientierung ist eine Frage zum Zustand der Demokratie. Für die Zeit der frühen Bundesrepublik sprach Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier 2018 von der „Unvollkommenheit“ der „neuen freiheitlichen Ordnung“. Er sagte: „Die Würde von Homosexuellen, sie blieb antastbar.“

Der Workshop

Trotz der überwiegenden Sprachlosigkeit der Betroffenen ist es der Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel gelungen, auf der Basis von Akten aus dem Niedersächsischen Staatsarchiv Wolfenbüttel sowie von Interviews mit Zeitzeugen die Verfolgungs- und Haftsituation der Homosexuellen in der frühen Bundesrepublik beispielhaft zu rekonstruieren.

In dem Workshop wird folglich von Einzelfällen berichtet, über die Gründe der Verurteilungen nach § 175 StGB, über die aus heutiger Sicht fragwürdigen Haftbedingungen, über die  damaligen Vorurteile, die vermeintliche Krankhaftigkeit der homosexuellen Veranlagung sowie über die grotesken Versuche, diese angebliche Krankheit im Sinne einer vermeintlichen Resozialisierung zu behandeln.

Eingebettet wird dieses Thema in eine Vorstellung der Geschichte des Strafgefängnisses Wolfenbüttel. Ein abschließender Vergleich mit der rechtlichen Situation homosexueller Männer weltweit verdeutlicht die Fragilität der gesellschaftlichen Stellung dieser Bevölkerungsgruppe in der heutigen Zeit.

Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Neue Oberschule Braunschweig beim Bildereinstieg zum §175-Workshop, Dezember-2019. Foto: GWF

Kontakt

Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel
Am Herzogtore 13
38300 Wolfenbüttel

Telefon: +49 (0) 5331 – 935501-21

E-Mail: wolfenbuettel@stiftung-ng.de

Der Besuch der Gedenkstätte und der Workshop sind kostenlos. Eine langfristige vorherige Anmeldung ist jedoch erforderlich.

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