Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau

Bildungsangebote

In Liebenau gibt es noch keine Gedenk- und Bildungsstätte mit regulärer Dauerausstellung, doch die Planungen zur Herrichtung eines entsprechenden Gebäudes wurden begonnen. Das derzeit dezentrale Angebot der Dokumentationsstelle basiert auf vier Kernbereichen:

  • Information und Vermittlung durch Publikationen, Ausstellungen, Internet, Jugendbegegnungen, Workshops, Seminare, Projekttage und -wochen mit
  • Erkundungen und Führungen auf dem Werksgelände;
  • Spurensuche an den Standorten der verschiedenen Stein- und Barackenlager, die im Zusammenhang mit der NS-Zwangsarbeit in der Pulverfabrik standen;
  • Gedenken, Trauern und Erinnern auf der Kriegsgräberstätte Hesterberg, beim „Friedensplatz“ auf dem Schulhof der Hauptschule Liebenau sowie auf den Friedhöfen der Gemeinden Liebenau und Steyerberg

 

Formate und Zielgruppen

Ein Kernangebot stellen derzeit die regelmäßig angebotenen Führungen und Informationsbesuche auf dem Gelände der ehemaligen Pulverfabrik dar. Da das Werksareal aus Sicherheitsgründen nicht frei zugänglich ist, müssen sich interessierte Personen und Schulklassen zuvor anmelden. Neben den Führungen können ganztägige Besuche, Workshops und Projektwochen für unterschiedliche Adressatengruppen inhaltlich wie methodisch-didaktisch differenziert ausgerichtet werden. Der integrative Ansatz berücksichtigt dabei die Bedürfnisse von Menschen mit Lernschwierigkeiten, sozialen Auffälligkeiten oder einer Behinderung. In Vorgesprächen werden der Besuchsablauf und seine Inhalte auf Altersstufen, Interessensschwerpunkte und Vorkenntnisse abgestimmt. Aus dem ‚Lernen über die Geschichte‘ soll ein ‚Lernen aus der Geschichte‘ werden. In diesem Zusammenhang möchte die Gedenkstätte die Selbstorganisation von handlungsorientierten Lernprozessen und ein ganzheitliches soziales Lernen anregen und ermöglichen.

Führung auf dem Gelände der ehemaligen Pulverfabrik. Der Zeitzeuge Karl Payuk (Ukraine) berichtet. Foto: Martin Guse, Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau e.V.

Führung auf dem Gelände der ehemaligen Pulverfabrik. Der Zeitzeuge Karl Payuk (Ukraine) berichtet. Foto: Martin Guse, Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau e.V.

 

Für Gruppenführungen sind – je nach inhaltlicher Ausrichtung – zweieinhalb bis vier Stunden einzuplanen.

Ganz- oder mehrtägige Workshops und Projektwochen ermöglichen eine vertiefende Beschäftigung mit einzelnen Themen (zum Beispiel mit Quellen und Zeugnissen ehemaliger Zwangsarbeiter_innen und Häftlinge oder den Organisations- und Motivationsstrukturen beteiligter Konzerne und NS-Behörden). Bei internationalen Gruppen haben die Angebote für Diskussion, Bezugsetzung oder Abgrenzung der hiesigen historischen Fakten zu anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit (europäische Erinnerungskultur) besondere Bedeutung.

Das Archiv und die Bibliothek können von allen Besucher_innen genutzt werden, die über die Zeit des Nationalsozialismus recherchieren und arbeiten. Sie werden dort von Mitarbeiter_innen der Dokumentationsstelle beraten und betreut.

Historischer Ort

Die Firma Wolff & Co. aus Walsrode begann im Sommer 1939 mit dem Bau eines ausgedehnten Rüstungskomplexes in unmittelbarer Nähe der Ortschaften Liebenau und Steyerberg (Landkreis Nienburg/Weser). Im Auftrag des Oberkommandos des Heeres (OKH) entstand auf einer Fläche von zwölf Quadratkilometern die Pulverfabrik Liebenau. Knapp 400 einzelne Produktionsgebäude verband man durch ein Netz von 84 Kilometern Straßen und 42 Kilometern Schienen. An der Peripherie des Werksgeländes kamen acht Lagerkomplexe aus Stein- oder Holzbauten hinzu. Ab 1941 produzierte die von Wolff & Co. gegründete Tochterfirma „Eibia“ über 41.000 Tonnen unterschiedlichster Pulversorten zur Beschleunigung von Geschossen. Im Werk wurden während des Zweiten Weltkrieges ca. 20 000 Fremd- und Zwangsarbeiter_innen aus den verschiedensten europäischen Nationen eingesetzt. Sowjetische Kriegsgefangene, die Häftlinge des „Arbeitserziehungslagers Liebenau“ und osteuropäische Zwangsarbeiter_innen mussten diese Arbeiten unter besonders schweren Lebensumständen verrichten. Weit über 2000 Frauen, Männer und Jugendliche starben an Mangelerkrankungen, Hunger und Schlägen sowie durch Erschießungen und Hinrichtungen.

Gebäude 9388 – eines von 400 Produktionsgebäuden der Pulverfabrik Liebenau. Foto: Martin Guse, Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau e.V.

Gebäude 9388 – eines von 400 Produktionsgebäuden der Pulverfabrik Liebenau. Foto: Martin Guse, Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau e.V.

Gedenkstätte

Das Gelände der ehemaligen Pulverfabrik Liebenau wurde bis Mitte der 1990er Jahre militärisch genutzt. Das Betreten für Unbefugte blieb verboten. Dies trug maßgeblich dazu bei, dass die Geschichte des Ortes in den Nachkriegsjahrzehnten weitgehend in Vergessenheit geriet. Verstärkte Anfragen nach Nachweisen und Dokumenten sowie erste Besuche ehemaliger Zwangsarbeiter_innen, die vor Ort nachhaltige Resonanz hinterließen, führten 1999 zur Gründung des Vereins »Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau e.V.«, mit dem erklärten Ziel, eine dauerhafte Dokumentations- und Bildungsstätte zu etablieren. Die Recherchen zur NS-Zwangsarbeit in der Pulverfabrik offenbarten komplexe Hintergründe und Verflechtungen, wobei die gewonnenen Erkenntnisse in erste Publikationen, Ausstellungen sowie Internet- und Vortragsangebote mündeten. Einen Schwerpunkt bildete bald die integrativ und international ausgerichtete Jugendbildungsarbeit. Neben den Kontakten zu ehemaligen Zwangsarbeiter_innen sowie deren Familien in Ost- und Westeuropa sind etliche Kooperationsprojekte mit Schul- und Jugendgruppen sowie wissenschaftlichen Partnerorganisationen in Polen, der Ukraine, Belarus und Russland hervorzuheben.

Auf den Spuren des Vaters: Drei Kinder des ehemaligen Italienischen Militärinternierten Silvio Marconcini besuchten die Dokumentationsstelle erstmals im Jahr 2013. Foto: Martin Guse, Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau e.V.

Auf den Spuren des Vaters: Drei Kinder des ehemaligen Italienischen Militärinternierten Silvio Marconcini besuchten die Dokumentationsstelle erstmals im Jahr 2013. Foto: Martin Guse, Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau e.V.

Kontakt

Die Angebote der Dokumentationsstelle sind sehr stark nachgefragt. Leider lassen Vereins- und Personalstruktur nicht zu, dass alle Anfragen und Wünsche zeitnah und unmittelbar erfüllt werden können. Dafür bittet die Dokumentationsstelle um Verständnis. Für Fragen, die Terminierung einer Führung oder die Abstimmung der unterschiedlichen Bildungsangebote empfiehlt sich eine frühzeitige Kontaktaufnahme mit den Mitarbeiter_innen der Dokumentationsstelle.

Gedenk- & Bildungsstätte Liebenau
Schulstr. 1
31618 Liebenau
email: info@doku-liebenau.de
Telefon: 05023/870490-0

www.doku-liebenau.de