‚Recht ist, was dem Staate nützt‘? – Historische Bildung als Voraussetzung demokratischen Handelns in Niedersachsen

Materialien für die Bildungsarbeit mit systemrelevanten Berufsgruppen

Soldaten der Bundeswehr in der Gedenkstätte Bergen-Belsen (Tessa Bouwmann)

Über das Projekt

Im Jahr 1933 schrieb Pfarrer Jakob Martin: „Justitia wurde die Augenbinde abgenommen, und der Veritas wurde sie angelegt! […] Recht ist, was dem Staate nützt; Unrecht ist, was dem Staate schadet!“ Der NS-Staat setzte die gesamte staatliche Verwaltung, Judikative und Exekutive für seine verbrecherische Politik ein. Auch in unserer heutigen Demokratie sind systemrelevante Berufsgruppen wesentlich an der Gestaltung und Prägung des Staates beteiligt. Aktuell stehen sie erneut vor der Herausforderung, ihre Unabhängigkeit angesichts einer zunehmenden Einflussnahme durch rechtspopulistische und autoritäre Kräfte zu verteidigen.

Mitarbeitende der Justiz, des Militärs und der Polizei durch historische Bildung für demokratisches Handeln im Umgang mit den Bürger_innen zu sensibilisieren und zu stärken, stand im Fokus des Forschungs- und Bildungsprojektes „‚Recht ist, was dem Staate nützt‘? – Historische Bildung als Voraussetzung demokratischen Handelns in Niedersachsen“, das die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten in Kooperation mit dem Sprecher_innenrat der Interessengemeinschaft niedersächsischer Gedenkstätten von November 2021 bis Dezember 2022 durchgeführt hat. Gefördert wurde es von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) und dem Bundesministerium für Finanzen (BMF). Entstanden sind berufsgruppenspezifische Seminarkonzepte und die vorliegende Sammlung von Bildungsmaterialien, die sich an Multiplikator_innen in Gedenkstätten und anderen Einrichtungen der historisch-politischen Bildungsarbeit richtet.

Die Materialsammlung regt dazu an, mit Angehörigen der Polizei, Bundeswehr und Justiz über die Geschichte ihrer Vorgängerinstitutionen in das Gespräch zu kommen und gemeinsam ihren aktuellen Berufsalltag zu reflektieren. Sie basiert auf Quellenrecherchen in Archiven und Gedenkstätten in Niedersachsen und wurde im Rahmen des Projektes praktisch erprobt.

In je fünf Themenmodulen stehen die Beteiligung von Angehörigen der Polizei, der Wehrmacht und der Justiz an der nationalsozialistischen Verfolgungspolitik, ihre Handlungsspielräume und -motive sowie personelle Kontinuitäten nach 1945 im Fokus. Mechanismen historischer Täter_innenschaft dienen darüber hinaus als Ausgangspunkt für eine kritische Beschäftigung mit aktuellen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Mit Methoden der Anti-Bias- und rassismuskritischen Bildungsarbeit werden die Teilnehmenden für eigene (unbewusste) Vorurteile und ihre Eingebundenheit in strukturelle Diskriminierungspraxen sensibilisiert und zur Selbstreflexion angeregt.

Die Module lassen sich zu Bildungsseminaren mit Mitarbeitenden der Polizei, Bundeswehr und Justiz kombinieren oder einzeln in andere Konzepte integrieren. Ihnen ist jeweils ein Einführungsdokument mit Lernzielen und Kontextinformationen, Vorschlägen für die Bearbeitung, weiterführenden Literaturtipps und zentralen Fragestellungen vorangestellt. Es folgen mehrere Dokumente, die aus Primär- oder Sekundärquellen, Abbildungen, Vertiefungstexten oder Übungen bestehen und das Modulthema von unterschiedlichen Seiten beleuchten.

Projektleitung „‚Recht ist, was dem Staate nützt‘?“:

Dr. Elke Gryglewski
Geschäftsführerin der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten und Leiterin der Gedenkstätte Bergen-Belsen

Katrin Unger
Leiterin der Abteilung Bildung und Begegnung in der Gedenkstätte Bergen-Belsen

Die Materialien wurden erarbeitet von:

Malina Emmerink
Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten im Projekt „‚Recht ist, was dem Staate nützt‘?“

Sarah Friedek
Pädagogische Mitarbeiterin der Gedenkstätte Bergen-Belsen

Dr. des. Christian Schmittwilken
Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten im Projekt „‚Recht ist, was dem Staate nützt‘?“

Dr. Andreas Strippel
Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten im Projekt „‚Recht ist, was dem Staate nützt‘?“

Für Recherche und Mitarbeit danken wir:

Charlotte Trottier
Wissenschaftliche Volontärin der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten

Redaktion:

Malina Emmerink

Sarah Friedek

Kerstin Gade

Michael Pechel

Dr. des. Christian Schmittwilken

Dr. Andreas Strippel

1. Materialien für die Bildungsarbeit mit Justizgruppen

Richter, Staatsanwälte und weitere Justizmitarbeitende hatten erheblichen Anteil an der Durchsetzung des nationalsozialistischen Unrechtssystems. In Kooperation mit Polizei- und Parteiorganisationen beteiligte sich die Justiz an willkürlichen Terrormaßnahmen und ließ zu, dass das Strafrecht zum Kampfinstrument gegen politische Gegner_innen und jene Menschen wurde, die im Sinne der NS-Ideologie nicht zur ‚Volksgemeinschaft‘ gehörten.

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2. Materialien für die Bildungsarbeit mit Bundeswehrgruppen

Das Militär war eine zentrale Säule der nationalsozialistischen Herrschaft und beteiligte sich im Zweiten Weltkrieg aktiv an Verbrechen gegen die Menschheit. Wehrmachtsführung, ranghohe Offiziere und einfache Soldaten nahmen bereitwillig an Kriegsverbrechen gegen Zivilbevölkerung und Angehörige gegnerischer Streitkräfte teil. Widerstand gab es nur selten.

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3. Materialien für die Bildungsarbeit mit Polizeigruppen

Unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 wurde die Polizei zu einem bedeutenden Herrschaftsinstrument im NS-Staat. Ihre Befugnisse wurden immer stärker erweitert und der Rechtsstaat dabei zunehmend ausgehöhlt. Die Gewaltenteilung wurde bereits im Februar 1933 weitgehend aufgehoben. Alle Bereiche der Polizei waren an der Verfolgung von Menschen beteiligt, die das NS-Regime als Gegner_innen ansah.

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