Grundsätze im Umgang mit historischen Quellen
Historische Quellen ermöglichen Rückschlüsse über Vorgänge in der Vergangenheit, wie etwa die Zeit des Nationalsozialismus.Im Umgang mit ihnen gibt es bestimmte allgemeingültige Regeln, die in der Geschichtswissenschaft mit dem Begriff der Quellenkritik bezeichnet werden: Zunächst muss die Echtheit der jeweiligen Quelle gegeben sein. Prominentes Beispiel einer Fälschung sind die angeblichen Hitler-Tagebücher aus dem Jahr 1983. Ist diese Voraussetzung gegeben, stellen sich Fragen nach der Urheberschaft (Wer?), der Motivation (Wozu?), dem Entstehungsort und der Zeit (Wo? und Wann?).
Die Antworten auf diese Fragen lassen Rückschlüsse über die Nähe der Quelle zum Geschehenen und damit über den Erkenntniswert für die Geschichtswissenschaft zu. Das Tagebuch eines Häftlings im Austauschlager wird als zeitgenössische Quelle anders beurteilt als ein autobiografischer Bericht, der nachträglich verfasst worden ist. Hier spielen, wie auch bei den Interviews von Zeitzeug_innen, im Nachhinein erhaltene Informationen und die Reflexion des Geschehenen eine zusätzliche Rolle. Eine quellenkritische Analyse ist für das Verständnis und die Einordnung von Quellen unerlässlich.
Verwendung historischer Quellen in der Bildungsarbeit der Gedenkstätte Bergen-Belsen
Im Sinne eines forschenden Lernens sollte den Teilnehmenden von Bildungsveranstaltungen eine eigenständige Auseinandersetzung mit historischen Quellen und deren Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte ermöglicht werden. Das bedeutet, dass die Herkunft von Informationen und Quellen selbst ein Thema in der Vermittlung ist. Der Einsatz von Quellen dient nicht nur der Veranschaulichung einer vorgegebenen historischen Erzählung, sondern soll es den Teilnehmer_innen ermöglichen, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Dargestellte historische Sachverhalte werden damit überprüf- und nachvollziehbar. Die verwendeten Quellen und die Auswahl von Themen sollen verschiedene Perspektiven auf das historische Geschehen erlauben.
Die ausgesuchten Quellen sowie deren Aufbereitung müssen dabei den Teilnehmenden und dem Thema angemessen sein. Die Kompetenz kritischen Umgang mit historischen Quellen ist auch auf zeitgenössische Quellen anwendbar. Zu hinterfragen, wie viel ein Urheber oder eine Urheberin einer Quelle wissen und wie viel er oder sie davon berichten konnte oder wollte, ist zentral für deren Einschätzung. Ebenso die Frage, in welcher Funktion eine Autorin oder ein Autor eine Quelle verfasst hat oder ein Fotograf/ eine Fotografin ein Bild aufgenommen hat. Das gilt sowohl für die Analyse von Fotos aus der Zeit des Nationalsozialismus wie auch für aktuelle Aufnahmen, die in Tageszeitungen oder Nachrichtensendungen zu sehen sind.
Historische Fotografien in der Bildungsarbeit der Gedenkstätte Bergen-Belsen
In der Gedenkstätte Bergen-Belsen sind historische Fotos ein wichtiger Bestandteil in der Bildungsarbeit und werden in Form von sogenannten Quellenblättern eingesetzt. Diese sind nach einem einheitlichen Muster aufgebaut: Die Vorderseite zeigt die Fotografie. Bei dem hier gezeigten Beispiel handelt es sich um eine Aufnahme aus dem Kriegsgefangenenlager Oerbke aus dem Jahre 1941.
In der Bildungsarbeit gibt es mehrere Einsatzmöglichkeiten. Welcher Einsatz gewählt wird, ist davon abhängig, wie groß die Gruppe ist, wie viel Zeit für den Besuch zur Verfügung steht und welcher thematische Schwerpunkt gewählt wurde.
Ein Beispiel für den Einsatz historischer Fotos ist die Methode des assoziativen Bildereinstiegs, der wiederum je nach Gruppe und Zeit variierbar ist. Anhand der Fotografien werden die Teilnehmer_innen dazu motiviert, Fragen zu formulieren. Was ist auf der Fotografie zu sehen? Wer könnte das Foto aufgenommen haben? Warum wurde das Foto aufgenommen?
Je nach Kenntnisstand der Teilnehmenden einer Bildungsveranstaltung fallen die Antworten auf diese Fragen sehr unterschiedlich aus. Bei dieser Methode geht es jedoch nicht um eine reine Wissensabfrage, was den Teilnehmer_innen vorher deutlich gemacht werden sollte. Beim assoziativen Bildereinstieg geht es nicht um richtig oder falsch, gleichwohl sollten die Inhalte der Fotografien zu einem bestimmten Zeitpunkt benannt werden.
Beispiel Quellenblatt Oerbke
Bei der hier gezeigten Fotografie handelt es sich um die Aufnahme von sowjetischen Kriegsgefangenen im Lager Oerbke. Zu sehen sind Erdhöhlen und zeltartige Bauten, die den Menschen als Unterkunft dienen mussten. Ein deutscher Wehrmachtssoldat hat das Foto aufgenommen, das sogar vervielfältigt und verteilt wurde. In der Diskussion mit den Teilnehmer_innen ergeben sich daraus schnell weitere Fragen, z.B., warum die sowjetischen Kriegsgefangenen einer solchen Behandlung ausgesetzt waren. Während des Austausches darüber, ergibt sich die Gelegenheit, die zentralen Punkte der NS-Ideologie anzusprechen.
Die Tatsache, dass ein deutscher Soldat die Aufnahme gemacht hat, wirft ebenfalls weitere Fragen auf, z.B. die, was die deutsche Bevölkerung von den Verbrechen wusste. Die Überlieferungsgeschichte des Fotos ist ebenso interessant und gibt Anlass zur Diskussion. Die Arbeit mit historischen Fotografien versetzt die Teilnehmer_innen in die Lage, sich mithilfe quellenkritischer Fragen und der Antworten darauf zentrale Inhalte der Geschichte des Lagerkomplexes Bergen-Belsens (eigenständig) zu erarbeiten.
Empfohlene Zitierweise
Nicola Schlichting: Historische Quellen in der Bildungsarbeit der Gedenkstätte Bergen-Belsen (2015). In: Geschichte.Bewusst.Sein.de, URL: https://geschichte-bewusst-sein.de/historische-quellen-in-der-bildungsarbeit-der-gedenkstaette-bergen-belsen/ [Zugriffsdatum]