Stärkung der Demokratiekompetenz durch ein kritisches Geschichtsbewusstsein – Nachhaltige Sicherung der Gedenkstättenarbeit in Niedersachsen

Pressemitteilung der Interessensgemeinschaft niedersächsischer Gedenkstätten | 29.8.2022

Stärkung der Demokratiekompetenz durch ein kritisches Geschichtsbewusstsein – Nachhaltige Sicherung der Gedenkstättenarbeit in Niedersachsen (Kurzfassung)

In Niedersachsen hat sich seit den 1980er-Jahren eine bundesweit einmalige Gedenkstättenlandschaft von nationaler Ausstrahlung und internationaler Bedeutung entwickelt. Die Diversität der Gedenk- und Dokumentationsstätten mit ihren jeweils spezifischen historischen Profilen repräsentiert umfassend wie exemplarisch alle wesentlichen Formen und Themen der nationalsozialistischen Verfolgung. Zu ihrer Arbeit gehören neben dem Gedenken der Opfer, die wissenschaftliche wie mediale Dokumentation der Verbrechen, die professionelle Sammlung und Archivierung historischer Dokumente und Zeitzeugenberichte sowie eine zielgruppenorientierte nachhaltige Bildungsarbeit.

Die Bedeutung dieser heterogenen Gedenkstättenlandschaft zeigt sich insbesondere in Zeiten wachsender Gefahren für die Demokratie und den Frieden in Europa, sowie angesichts sich verstärkender gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Die vielfältigen, von bürgerschaftlichem Engagement getragenen und von Land und Kommunen unterstützten Gedenkstätten wirken mit ihrer werteorientierten wie gegenwartsbezogenen Bildungs- und Erinnerungsarbeit diesen gefährlichen Entwicklungen auf konsequente Weise entgegen.

Aktuell arbeiten zahlreiche Gedenkstätten in Niedersachsen in Trägerschaft von gemeinnützigen Vereinen und Stiftungen allerdings mit unzureichender personeller und finanzieller Ausstattung. Angesichts der notwendigen Erweiterung und Modernisierung vieler Orte und den gestiegenen Anforderungen und Erwartungen an Professionalisierung, Digitalisierung, Medialisierung und den ständig wachsenden Aufgaben vor allem im Bereich der Vermittlungs- und Bildungsarbeit reichen die vom Land und den Kommunen bereitgestellten Mittel nicht aus. Viele der Gedenkstätten in Niedersachsen stehen daher an einer entscheidenden Schwelle ihrer Entwicklung. Es geht um nichts Geringeres als um die Grundsicherung und damit um die Existenz bürgerschaftlich getragener Gedenkstätten in Niedersachsen.

Seit Anfang der 1990er-Jahre beteiligt sich das Land Niedersachsen an der Finanzierung der Gedenkstätten. Wesentliches Instrument der Landesförderung ist die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten. Alle Dokumentations- und Gedenkstätten, Vereine, Geschichtswerkstätten, Initiativen usw. haben die Möglichkeit, dort Zuwendungen aus der Projektförderung zu beantragen. Derzeit wird aus dem Etat für Projektförderung auch die schwerpunktmäßige Förderung von sieben Gedenkstätten abgedeckt.

Aufgrund der dadurch gestiegenen Mittelbindungen für die Sicherstellung der Qualität und Kontinuität der Arbeit hat sich der Anteil verfügbarer Haushaltsmittel im Bereich der Projektförderung jedoch in erheblichem Umfang verringert. Gerade mit Blick auf kleine Gedenkstätten und Initiativen sowie innovative Projekte muss der Etat für die Projektförderung entlastet werden. Dazu bedarf es zwingend einer stärkeren finanziellen Stützung der schwerpunktmäßig geförderten Gedenkstätten. Ziel ist es, ab 2024 insgesamt acht und langfristig elf Gedenkstätten in die institutionelle Förderung aufzunehmen.

Um viele Gedenkorte nachhaltig zu sichern, ist eine verstärkte landespolitische Verantwortung gefordert. Für die zivilgesellschaftlich verankerten Gedenkstätten in gemeinnütziger Trägerschaft bedarf es daher verstetigter Mittel für qualifiziertes Personal sowie Sach- und Betriebskosten. Zur nachhaltigen Sicherung der gewachsenen Gedenkstättenlandschaft wird eine landesseitige institutionelle Förderung in Höhe von 1,2 Millionen Euro p. a. benötigt.

Auf Grundlage einer solchen Absicherung der Finanzierung können folgenden Gedenkstätten in eine dauerhafte und auskömmliche institutionelle Förderung überführt werden:

  • KZ-Gedenkstätte Moringen,
  • Gedenk- und Dokumentationsstätte KZ Drütte (Salzgitter),
  • Gedenkstätte Lager Sandbostel,
  • DIZ Emslandlager (Esterwegen),
  • Dokumentationsstätte Pulverfabrik Liebenau,
  • Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht (Osnabrück),
  • „Euthanasie“-Gedenkstätte Lüneburg sowie der
  • Dokumentations- und Lernort Bückeberg.

Eine dauerhafte institutionelle Förderung mit einer angemessenen Personalausstattung ist notwendig, um den vielfältigen Aufgaben und Erwartungen, die neben der Öffentlichkeit auch Überlebende und Angehörige sowie die Wissenschaft an Gedenkstätten stellen, gerecht zu werden. Trotz ehrenamtlicher Kräfte in erheblichem Umfang, werden unbedingt feste qualifizierte Mitarbeiter_innen für die Aufgaben der Leitung und Koordination, der Pädagogik und Besucher_innenbetreuung, der Sammlung und Dokumentation, der Verwaltung, IT und Öffentlichkeitsarbeit für die institutionell geförderten Gedenkstätten benötigt.

Nach aktuellem Stand belaufen sich die entsprechenden Personalkosten auf 250.000 Euro jährlich. Hinzu kommen Sach- und Betriebskosten in Höhe von 50.000 Euro. Daraus ergibt sich ein von der IG gemeinsam mit der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten identifizierter jährlicher Bedarf von 300.000 Euro für jede institutionell zu fördernde Gedenkstätte. Erwartet wird, dass die Hälfte der erforderlichen Mittel aus der Region kommt, vorzugsweise von den Kommunen. Landesseitig sind somit jährlich 1,2 Millionen Euro für die institutionelle Förderung mittelfristig unabdingbar. Eine damit einhergehende Rückführung der etatisierten Projektmittel würde allen Gedenkstätten, Geschichtswerkstätten und -initiativen zugutekommen. Wir fordern, die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten mit ausreichenden Mitteln auszustatten, um die gewachsene Gedenkstättenlandschaft in Niedersachsen zukunftssicher zu machen.

Für die Interessengemeinschaft niedersächsischer Gedenkstätten und Initiativen zur Erinnerung an die NS-Verbrechen, der Sprecher_innenrat:
Corinna Bittner (DIZ Emslandlager)  – Andreas Ehresmann (Gedenkstätte Lager Sandbostel)  – Dr. Michael Gander, Georg Hörnschemeyer (Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht) –  Dr. Carola Rudnick („Euthanasie“-Gedenkstätte Lüneburg)  – Dr. Dietmar Sedlaczek (KZ-Gedenkstätte Moringen) – Maike Weth (Gedenk- und Dokumentationsstätte KZ Drütte)

Stärkung der Demokratiekompetenz durch ein kritisches Geschichtsbewusstsein – Nachhaltige Sicherung der Gedenkstättenarbeit in Niedersachsen > Kurzfassung

Stärkung der Demokratiekompetenz durch ein kritisches Geschichtsbewusstsein – Nachhaltige Sicherung der Gedenkstättenarbeit in Niedersachsen > Langfassung mit Begründungen

Trailer „Sind Gedenkstätten in Niedersachsen ohne Zukunft?“ © IG niedersächsische Gedenkstätten 2022

 

Veranstaltungsdokumentation
„Gedenkstätten ohne Zukunft? Ein Podium über nachhaltiges Erinnern in Niedersachsen“
Die Interessengemeinschaft niedersächsische Gedenkstätten und Initiativen zur Erinnerung an die NS-Verbrechen hatte am 28. September 2022 in das ZeitZetrum Zivilcourage Hannover zu einer Podiumsdiskussion eingeladen.
Programm:
Impulsvortrag von Prof. Dr. Martin Sabrow
Podiumsgespräch mit Vertreter_innen niedersächsischer Gedenkstätten
Moderation: Christina von Saß
Live-Stream: https://youtu.be/ncJTHsJlggU

Kontakt:
Interessengemeinschaft niedersächsischer Gedenkstätten und Initiativen zur Erinnerung an die NS-Verbrechen
https://gedenkstaetten-niedersachsen.de

Zur Mitteilung auf der Homepage der Interessensgemeinschaft