Biografien von Opfern der Deportationen aus Nordwestdeutschland zwischen 1941 und 1945

Die Deportationen in die Vernichtungslager bildeten im nationalsozialistischen Deutschland für verschiedene Bevölkerungsgruppen den Abschluss einer radikalisierten Diskriminierung und Entrechtung. Das Ziel war eine nach rassistischen Kriterien „reine Volksgemeinschaft“. Nur wenige der Verschleppten überlebten den Massenmord.

Die Biografien der Opfer aus Nordwestdeutschland zeigen den Prozess der stufenweisen Ausgrenzung aus der Gesellschaft. Die prägnant gehaltenen Texte beantworten dabei nicht alle Fragen. Sie können aber als Ausgangspunkt für weitere Recherchen vor Ort dienen.

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Transport Hannover – Riga 15. Dezember 1941

Alice Jonas

aus Tündern bei Hameln

1908 - ?

Verfolgt als Jüdin

Gebäude
Das Wohnhaus von Alice Jonas in Tündern 2012. (Foto: Bernhard Gelderblom)

Alice Jonas wurde am 8. Januar 1908 in dem Dorf Tündern bei Hameln geboren. Seit ihrer Geburt lebte sie in dem kleinen Haus Werder 16, das die Familie Jonas seit drei Generationen bewohnte. Sie soll an einer Nervenkrankheit gelitten haben und blieb unverheiratet. Ihre Tante Emilie Jonas sorgte für sie.

Die Frauen lebten unter ärmlichen Verhältnissen. Tante Emilie bewirtschaftete den Gemüsegarten, der hinter dem Haus lag, und half gegen kargen Lohn auf anderen Höfen bei der Ernte aus. Alice habe, wie Zeitzeugen berichten, stets am Fenster gesessen und auf das Treiben auf der Straße geschaut.

1933 waren Emilie und Alice die einzigen Juden, die noch in Tündern wohnten. Weil beide nahezu mittellos waren, sollen freundliche Nachbarn ihnen „immer einmal etwas zugesteckt“ haben. In der Pogromnacht am 9. November 1938 schlug ein SA-Kommando aus Tündern die Fenster des Hauses ein und zerstörte den Stall am Hinterhaus.

Im Dezember 1939 mussten Emilie und Alice Jonas Tündern verlassen. Dorfbewohner können sich noch an das Bild erinnern, wie die beiden Frauen, hinten auf einem offenen Lkw stehend, aus Tündern abtransportiert wurden. Während ihre Tante Emilie nach Hameln ging, zog Alice zu ihrer Schwester Hildegard Nußbaum nach Hannover in die Scholvinstraße 12. Das Haus in der Scholvinstraße erklärte die Stadt Hannover im September 1941 zum „Judenhaus“.

Zusammen mit Schwester Hildegard wurde die 33 Jahre alte Alice Jonas am 15. Dezember 1941 in das Ghetto Riga deportiert. Der Tag ihres Todes ist nicht bekannt.

 

Weiterführende Informationen auf der Website des Vereins für regionale Kultur- und Zeitgeschichte Hameln e.V.: Die Dokumentation der Opfer der NS-Herrschaft in der Stadt Hameln und im Landkreis Hameln-Pyrmont

 

Autor: Bernhard Gelderblom, Hameln
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