Die Deportationen in die Vernichtungslager bildeten im nationalsozialistischen Deutschland für verschiedene Bevölkerungsgruppen den Abschluss einer radikalisierten Diskriminierung und Entrechtung. Das Ziel war eine nach rassistischen Kriterien „reine Volksgemeinschaft“. Nur wenige der Verschleppten überlebten den Massenmord.
1941: Erste Deportationen von Juden aus Nordwestdeutschland
Mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 begann der systematische Völkermord an den europäischen Juden. Fielen in den besetzten sowjetischen Gebieten zunächst vor allem Männer den Mordaktionen von Einsatzgruppen sowie SS- und Polizeieinheiten zum Opfer, ging es bald darum, die gesamte jüdische Bevölkerung zu vernichten. Diese Radikalisierung beeinflusste die Überlegungen zur „Endlösung der Judenfrage“ im Deutschen Reich.
Von erzwungener Emigration zu systematischer Mordpolitik
Der ständig steigende administrative Druck, verbunden mit willkürlichen Gewaltaktionen, hatte bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges im September 1939 das Ziel gehabt, die jüdische Bevölkerung unter totaler Ausplünderung zur Emigration zu zwingen. Nun, nach dem Überfall auf die Sowjetunion, schalteten Staats- und Parteiführung auch gegenüber den deutschen Juden auf direkte Mordpolitik um. Das Mittel dazu waren Deportationen in die Ghettos in den besetzten Gebieten Polens und des Baltikums. Dort wurde durch systematisches Aushungern und teils auch durch Massenerschießungen bedenkenlos die örtliche jüdische Bevölkerung ermordet, um Platz zu schaffen.
Der Beginn der Deportationen
Mitte Oktober 1941 begann die Deportation der jüdischen Bevölkerung aus Deutschland. Das Ziel war noch nicht die sofortige Ermordung an den Ankunftsorten. Dennoch war den beteiligten Behörden klar, dass die Frauen, Männer und Kinder nicht mehr zurückkehren würden. Das zeigt die Verteilung der bisher von den Familien bewohnten Häuser und Wohnungen ebenso wie die öffentliche Versteigerung des zurückgebliebenen Besitzes. Die ersten Jüdinnen und Juden aus Nordwestdeutschland wurden am 23. Oktober 1941 über Berlin in das Ghetto Litzmannstadt (heute: Łódź in Polen) transportiert. Am 15. Dezember verließ der letzte Transport des Jahres 1941 Hannover. Mit ihm werden 1001 Menschen in das Ghetto Riga gebracht.
Die Biografien der Opfer
Die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten würdigt die Opfer der Deportationen des Jahres 1941, indem an exemplarischen Biografien Vorgeschichte und Folgen der Verschleppung veranschaulicht werden. Deutlich wird, dass mit der stufenweisen Entrechtung der deutschen Juden seit 1933 auch eine zunehmende soziale Isolation und der Ausschluss aus dem öffentlichen Leben verbunden waren. Letzte Station waren oftmals „Judenhäuser“, in denen diejenigen Menschen, denen es nicht gelungen war, rechtzeitig Deutschland zu verlassen, zusammengepfercht auf engstem Raum leben mussten. Vormals angesehene Bürger waren schutzlos der Willkür von SA, SS und Polizei, aber auch Schikanen von Nachbarn und Mitbürgern ausgesetzt. Nur einzelne haben die Deportation und den Holocaust überlebt.
Das Projekt
Zahlreiche Gedenkstätten, Initiativen und Einzelpersonen haben das Projekt unterstützt, indem sie die Schicksale der Opfer rekonstruiert haben. Die Biografien können Ausgangspunkt sein, um Genaueres über die Situation der jüdischen Bevölkerung in den einzelnen Orten vor und nach 1933 herauszufinden: Welche Berufe haben die Menschen gehabt? Haben Sie öffentliche Ämter bekleidet oder am Vereinsleben teilgenommen? Hat sich das Verhalten von Freunden und Nachbarn ab 1933 verändert? Wie hat die sich ständig radikalisierende antisemitische Politik das Leben beeinflusst? Wie wurden einschneidende Ereignisse wie die Novemberpogrome 1938 erlebt? Was folgte auf die Deportation? Auf diese und weitere Fragen können die hier gesammelten Biografien keine erschöpfende Auskunft geben. Aber sie bieten Ansätze zur weiteren Recherche und weisen in ihrer kurzen, prägnanten Darstellungsform auf Schlüsselerlebnisse hin, die das Schicksal der Menschen beeinflusst und oft über Leben und Tod entschieden haben.
Weiterführende Links:
Statistik und Deportation der jüdischen Bevölkerung aus dem Deutschen Reich (Transportlisten)
Forschungsprojekt Yad Vashem: Transporte von jüdischen Deportierten (Karten und weitere Informationen)
Weiterführende Literatur:
Alfred Gottwald / Diana Schulle: Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945. Eine kommentierte Chronologie. Wiesbaden 2005
1943: Die Deportation der Sinti nach Auschwitz
Der „Festsetzungserlass“ aus dem Jahr 1939
Zur unmittelbaren Vorgeschichte der Deportationen gehört der sogenannte „Festsetzungserlass“ des Reichssicherheitshauptamtes vom Oktober 1939, der die Einrichtung von speziellen Sammellagern für Sinti und Roma vorsah. Diese Anordnung führte vielerorts zur Vertreibung der Sinti und Roma aus ihren Häusern und Wohnungen. Stattdessen mussten sie nunmehr in notdürftigen Behausungen am Rande der Ortschaften leben. Im heutigen Niedersachsen entstanden derartige Sammellager in Osnabrück, Braunschweig, Oldenburg und Hannover.
Entrechtung und Ausgrenzung seit 1933
Die nach rassistischen Kriterien als „Zigeuner“ eingestuften Menschen unterlagen seit dem Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland vielfältigen Maßnahmen mit dem Ziel, sie aus dem gesellschaftlichen Leben auszuschließen. Die Nationalsozialisten konnten damit an eine jahrhundertealte Tradition der Ausgrenzung anschließen. Die 1936 gegründete „Rassenhygienische Forschungsstelle“ lieferte die pseudowissenschaftlichen Begründungen für die Verfolgung. Sie erfasste die Sinti und Roma im gesamten Deutschen Reich und stufte sie nach rassistischen Kriterien als „minderwertig“ und „primitiv“ ein.
Aktion „Arbeitsscheu Reich“ 1938
Im Jahr 1938 wurden in einer reichsweiten Aktion zahlreiche Menschen verhaftet, die von den Behörden als „arbeitsscheu“ oder „asozial“ bezeichnet wurden. Viele Gemeinden und Städte nutzten diese Aktion, um die in ihrem Bereich lebenden Sinti und Roma inhaftieren zu lassen. In ihrer von Vorurteilen geprägten Sicht galten sie ihnen als Belastung und Gefahr. Die Verhafteten wurden in die Konzentrationslager Buchenwald, Sachsenhausen und Dachau eingeliefert.
Deportationen 1943
Das Ziel der familienweise durchgeführten Deportationen war das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Dort war ein sogenanntes „Zigeunerfamilienlager“ eingerichtet worden, in dem Männer, Frauen und Kinder gemeinsam lebten. Die Sinti und Roma wurden zu schwersten Zwangsarbeiten herangezogen und waren ständig vom Tod in der Gaskammer bedroht. Etwa 20.000 Sinti und Roma starben in Auschwitz an den unzureichenden Lebensbedingungen oder wurden ermordet.
Sinti und Roma in der deutschen Gedenkkultur
Die Sinti und Roma mussten lange kämpfen, bis die nationalsozialistische Politik ihnen gegenüber als Völkermord anerkannt wurde. Noch lange nach 1945 waren behördliches Handeln und gerichtliches Urteilen von rassistischem Gedankengut geprägt, das Sinti und Roma von Rehabilitation und Entschädigungen ausschloss.
Erst in den 1970er Jahren erlangte die Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma Aufmerksamkeit für die Verbrechen während der Zeit des Nationalsozialismus, was 1982 zur (erstmaligen) Anerkennung des Völkermords durch die Bundesregierung führte. Danach dauerte es noch einmal dreißig Jahre, bis 2012 in Berlin ein zentrales Mahnmal eingeweiht wurde, das an die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma erinnert.
Auf dieser Website finden Sie außerdem zum Thema:
Projekt „Kompetent gegen Antiziganismus/Antiromaismus (KogA) – in Geschichte und Gegenwart“
Seminarangebot „Antiziganismus. Von der Verfolgung der Sinti und Roma im Nationalsozialismus bis heute“
Thementext: „Antiziganismus“ von Franziska Göpner
Bildungsmaterialien aus Niedersachsen: „Die Verfolgung der Sinti und Roma im Nationalsozialismus“
Biografien der Deportierten
Die Biografien der Opfer aus Nordwestdeutschland zeigen den Prozess der stufenweisen Ausgrenzung aus der Gesellschaft. Die prägnant gehaltenen Texte beantworten dabei nicht alle Fragen. Sie können aber als Ausgangspunkt für weitere Recherchen vor Ort dienen.
Biografien der Deportierten: Autor_Innen
Jürgen Bohmbach, Stade
juergen.bohmbach@gmx.de
Hans Leo Brumsack | Henny Cohen | Max Löwenstein | Adolf Leo Philippsohn | Lina Rosenthal
Büro für Friedenskultur, Osnabrück
www.osnabrueck.de/friedenskultur
Rosalie Grünberg | Maria Imker | Frieda Lieblich | Adolf Löwenstein | Anna Pelz | Anna Schmidt | Karl Weiß | Heinrich Winter
Lukkas Busche
Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel
http://wolfenbuettel.stiftung-ng.de
Holger Frerichs
Schloßmuseum Jever
GröschlerHaus Jever – Zentrum für Jüdische Geschichte und Zeitgeschichte der Region Friesland / Wilhelmshaven
h.frerichs@schlossmuseum.de
info@groeschlerhaus.eu
https://www.groeschlerhaus.eu
Bernhard Gelderblom
Regionale Kultur- und Zeitgeschichte Hameln e.V.
vorstand@geschichte-hameln.de
http://www.geschichte-hameln.de/gedenkbuch/
Hulda Bienheim | Moritz Blankenberg | Alice Jonas | Ruth Levy | Georg Reichmann
Geschichtswerkstatt Lüneburg e.V.
info@geschichtswerkstatt-lueneburg.de
http://www.geschichtswerkstatt-lueneburg.de
Bernd Horstmann
Gedenkstätte Bergen-Belsen
Bergen-Belsen@stiftung-ng.de
www.bergen-belsen.de; https://de-de.facebook.com/GedenkstaetteBergenBelsen
Landeshauptstadt Hannover – Städtische Erinnerungskultur
das-z@hannover-stadt.de
www.hannover.de/das-z
Adolf Bachrach | Claus Becher | Gerhard Berkowitz | Günther Fleischel | Helmut Fürst | Frieda Kleeberg | Norbert Kronenberg | Gerd Landsberg | Henny Markiewicz-Simon | Lore Oppenheimer | Heinz Samuel | Hilde Schneider
Sabine Maehnert
Stadtarchiv Celle
stadtarchiv@celle.de
https://celle.de/Kultur/Stadtarchiv
Hermann Feingersch | Isaak Feingersch | Rebekka Feingersch
Ute Müller
Haus der Generationen Stolzenau e.V.
muellersteyerberg@web.de
Hartmut Peters
GröschlerHaus Jever – Zentrum für Jüdische Geschichte und Zeitgeschichte der Region Friesland / Wilhelmshaven
info@groeschlerhaus.eu
Georg Frank | Margot Anita Schwarz
Ruthild Raykowski, Lüneburg
Ruthild.Raykowski@posteo.de
Dr. Edel Sheridan-Quantz, Hannover
Sheridan-Quantz@t-online.de
Dr. Rolf Uphoff
Stadtarchiv Emden
Max-Windmüller-Gesellschaft Emden
rolf.uphoff@emden.de
Projekt Łódź – Emden
Johanna Philipson | Louis Philipson
VVN-BdA, Kreisvereinigung Lüneburg
vvn-bda-lg@web.de
www.vvn-bda-lg.de
Franziska Reiminius
Susanne Weihmann, Helmstedt
susanne@weihmann-he.de
Christian Wolpers, Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, Celle
christian.wolpers@stiftung-ng.de