Biografien von Opfern der Deportationen aus Nordwestdeutschland zwischen 1941 und 1945

Die Deportationen in die Vernichtungslager bildeten im nationalsozialistischen Deutschland für verschiedene Bevölkerungsgruppen den Abschluss einer radikalisierten Diskriminierung und Entrechtung. Das Ziel war eine nach rassistischen Kriterien „reine Volksgemeinschaft“. Nur wenige der Verschleppten überlebten den Massenmord.

Die Biografien der Opfer aus Nordwestdeutschland zeigen den Prozess der stufenweisen Ausgrenzung aus der Gesellschaft. Die prägnant gehaltenen Texte beantworten dabei nicht alle Fragen. Sie können aber als Ausgangspunkt für weitere Recherchen vor Ort dienen.

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Transport Lüneburg – Auschwitz Anfang März 1943

Franziska Reiminius

aus Lüneburg

1931 - 1944

Verfolgt als Sintizza

Verwaltung
Personalbogen der „Hilfsschule“ in Lüneburg, 1939

Franziska Reiminius kam mit ihrer Familie 1938 aus Dannenberg (Elbe) nach Lüneburg und wohnte dort auf dem „Wagenhalteplatz Mehlbachstrift“.

Die Familie bestand zu diesem Zeitpunkt aus dem Vater Stephan Reiminius, geb. am 1. Juni 1895 in Zirnetschlag, der Mutter Maria, geb. Krauss, geb. am 2.September 1899 in Ködnitz, den Zwillingen Karoline und Rudolf, geb. am 24. Mai 1924 und den weiteren Kindern Alois, geb. am 2. März 1930, Franziska, geb. am 6. August 1931, Maria, geb. am 31. Mai 1933 und Adolf, geb. am 18. April 1935.

1940 wurde die Familie einer rassenbiologischen Überprüfung unterzogen und als „Zigeunermischlinge“ eingestuft. Seitdem musste sie den Nachnamen „Reichmann“ führen und wurde innerhalb Lüneburgs in die Baracken am „Bardowicker Wasserweg 4“ umgesiedelt.

Während dieser Zeit besuchten die schulpflichtigen Kinder Franziska und Alois zunächst die katholische Volksschule Wallstraße 1/2, dann die Hilfsschule, die gemeinsam mit der Heiligengeistschule IV im Schulgebäude „Bei der Johanniskirche 21“ untergebracht war. Franziska kam 1939 in die Hilfsschule und besuchte dort die Klasse 6 b. Nach einem Jahr Schulbesuch notierte ihre Klassenlehrerin, Frau Emmy Sprengel, im Personalbogen:

„Franziska ist als Zigeunerin ‚Außenseiter‘. Sie hält sich ängstlich zurück, steht auch meist auf dem Schulhof allein. Für ein freundliches Wort und ein Lob ist sie sehr empfänglich. Sie ist ungeheuer stolz auf ihre Fortschritte, liest mit Begeisterung, im Schreiben hat sie Mühe mit dem Liniensystem. Sie verfolgt eifrig den Unterricht, mag gern erzählen, erzählt auch eine Geschichte ziemlich folgerichtig. Ihre Sprache klingt hart und oft undeutlich, manchmal unvollständig. Sie wird einigermaßen sauber in die Schule geschickt, hat auch immer alle Schulsachen. Mit den Schularbeiten ist sie oft nachlässig, aber wo soll sie sie […] in dem dunklen Wagen machen? Das Schulbaden macht ihr großen Spaß, obwohl sie erst lernen musste, wie man sich wäscht.“

Ein Jahr später, 1941, notierte ihre Klassenlehrerin eine positive Entwicklung Franziskas…:
„Franziska hat sich stetig entwickelt. Sie zeigt dasselbe [Verhalten] wie im vorigen Jahre: scheu, etwas ängstlich, die Sprache ist etwas deutlicher geworden. Sie spielt auch etwas mehr mit den Kameradinnen. Sie fühlt sich weniger einsam, seit ein Bruder in der Schule ist.“

…die sich auch in ihrem dritten Jahr des Besuchs dieser Schule fortsetzt:
„Franziska ist etwas munterer geworden. Sie spricht etwas mehr und deutlicher, spielt gelegentlich mit den anderen, weiß sich besser zu machen. Eine isolierte Stellung wird sie immer haben. Die Kinder sehen in ihr die ‚Zigeunerin‘.“

Eine offizielle Schulentlassung erlebte Franziska nicht. Eine Begründung für Franziskas Fernbleiben von der Schule im März 1943 oder ein sonstiger Hinweis ist auf dem Personalbogen der Schule nicht zu finden.

 

Autor: VVN-BdA, Kreisvereinigung Lüneburg
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