Biografien von Opfern der Deportationen aus Nordwestdeutschland zwischen 1941 und 1945

Die Deportationen in die Vernichtungslager bildeten im nationalsozialistischen Deutschland für verschiedene Bevölkerungsgruppen den Abschluss einer radikalisierten Diskriminierung und Entrechtung. Das Ziel war eine nach rassistischen Kriterien „reine Volksgemeinschaft“. Nur wenige der Verschleppten überlebten den Massenmord.

Die Biografien der Opfer aus Nordwestdeutschland zeigen den Prozess der stufenweisen Ausgrenzung aus der Gesellschaft. Die prägnant gehaltenen Texte beantworten dabei nicht alle Fragen. Sie können aber als Ausgangspunkt für weitere Recherchen vor Ort dienen.

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Transport Hannover – Riga 15. Dezember 1941

Günther Fleischel

aus Hannover

1903 - 1943

Verfolgt als Jude

Mann
Günther Fleischel, um 1937. (Repro LHH – ZeitZentrum Zivilcourage)

Günther Fleischel, geb. 1903, war Kapp-Putsch-Unterstützer und Sympathisant des Nationalsozialismus, Mitglied des Stahlhelm, der SA und des NSKK, Opfer der NS-Justiz und des Holocaust.

Fleischel entstammte einer gutbürgerlichen Berliner Buchhändlerfamilie. Seine Eltern, ursprünglich jüdischer Konfession, hatten sich evangelisch taufen lassen. Nach dem Realgymnasium absolvierte er eine kaufmännische Lehre. Der 16jährige war 1919 zum katholischen Glauben konvertiert, er heiratete 1927 die ebenfalls katholische Ilse Lessel.

Der nationalkonservative Fleischel trat am 15. Januar 1933 in Wiesbaden in den antirepublikanischen und antisemitischen Stahlhelm ein. Er wurde 1934 SA-Mitglied. Fleischels Welt brach zusammen, als er aus den Unterlagen seines 1936 verstorbenen Vaters erfuhr, dass er nach den Nürnberger Gesetzen nicht „deutschblütig“ war.

1937 zog Fleischel mit seiner Familie auf Wunsch seines Arbeitgebers von Wiesbaden nach Hannover. Wenig später verbreitete sich in seiner Firma das Gerücht, er sei Jude. Er wurde wegen „Rassenschande“ denunziert und am 10. Dezember 1937 verhaftet. Das Landgericht Hannover verurteilte ihn 1938 zu einer Zuchthausstrafe von drei Jahren und sechs Monaten, die er in Hameln und Celle verbüßte.

Am 12. Juni 1941 entließ man ihn nach Hannover, wo er sich nur noch wenige Wochen frei bewegen konnte. Er wurde im Zuge der „Aktion Lauterbacher“ im Oktober 1941 in das „Judenhaus“ in der Herschelstr. 31 zwangseingewiesen. Von hier aus folgte im Dezember 1941 der Transport in die Sammelstelle auf dem Gelände der Gartenbauschule Ahlem zur Abschiebung nach Riga.

Nach der Ankunft des Transportes aus Hannover auf dem Rigaer Bahnhof Skirotava ernannte Ghetto-Kommandant Krause Fleischel zum „Judenältesten“ der Hannoveraner. Im Ghetto heiratete er Deborah Ferche aus Hannover, die später zu den 69 Überlebenden des Transportes aus Hannover gehörte. Günther Fleischel starb am 5. September 1943 im Ghetto Riga an Magenkrebs. Auf Befehl des Ghetto-Kommandanten wurde er mit militärischen Ehren beerdigt.

 

Autor: Landeshauptstadt Hannover – ZeitZentrum Zivilcourage
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