Biografien von Opfern der Deportationen aus Nordwestdeutschland zwischen 1941 und 1945

Die Deportationen in die Vernichtungslager bildeten im nationalsozialistischen Deutschland für verschiedene Bevölkerungsgruppen den Abschluss einer radikalisierten Diskriminierung und Entrechtung. Das Ziel war eine nach rassistischen Kriterien „reine Volksgemeinschaft“. Nur wenige der Verschleppten überlebten den Massenmord.

Die Biografien der Opfer aus Nordwestdeutschland zeigen den Prozess der stufenweisen Ausgrenzung aus der Gesellschaft. Die prägnant gehaltenen Texte beantworten dabei nicht alle Fragen. Sie können aber als Ausgangspunkt für weitere Recherchen vor Ort dienen.

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Transport Hannover – Riga 15. Dezember 1941

Karl Gottschalk

aus Hannover

1876 - 1943

Verfolgt als Jude

Mann
Karl Gottschalk (Privatbesitz Tom Schuster)

Karl Gottschalk wurde am 13. April 1876 in Hannover geboren. Sein Vater Louis Gottschalk hatte 1872 die Bank Berend & Gottschalk am Theaterplatz mitbegründet.

Karl verbrachte vor dem Ersten Weltkrieg einige Zeit in Singapur, wohl um internationale finanzielle Erfahrung zu sammeln. 1920 übernahm er die Leitung der Bank; er war Mitglied im Börsenvorstand Hannover. Im gleichen Jahr heiratete er die verwitwete Elisabeth (genannt Lisbeth) Levy geb. Steinfeld aus Rinteln, deren erster Mann im Ersten Weltkrieg gefallen war.

Karl und Lisbeth hatten zwei Kinder, Rudolph (später Ralph Grahame, 1920 – 1985) und Ilse (verh. Schuster, 1923 – 2012). Lisbeths Sohn aus erster Ehe, Fritz, der in München Medizin studierte, starb 1935 im Alter von 19 Jahren bei einem Lawinenunglück.

Die Familie wanderte gerne im Harz. Karl war für seine Geselligkeit bekannt und soll einmal einen Schachgroßmeister geschlagen haben. Die Gottschalks fühlten sich als Deutsche und feierten sowohl die christlichen als auch die jüdischen Feiertage.

Nach dem 30. Januar 1933 engte sich das Leben für die Gottschalks spürbar ein. Aktionen wie die Durchsuchung jüdischer Bankhäuser in Hannover im August 1933, ohne Angabe von Gründen, verstärkten die Atmosphäre von Angst und Unsicherheit. Bei einer Devisenprüfung der Bank Berend & Gottschalk im Januar 1936 wurde eine Transaktion beanstandet, bei der eventuell eine Genehmigung einzuholen gewesen wäre. Solche devisenrechtlichen Verfahren konnten besonders für jüdische Geschäftsleute auch bei geringfügigen Vergehen und sogar bei eigentlich erlaubten Vorgängen schwerwiegende Folgen haben.

Die Familie bemühte sich spätestens ab 1938 um Möglichkeiten auszuwandern; verzweifelt wurden Freunde, Bekannte oder Verwandte im Ausland gesucht, die das nötige Affidavit ausstellen könnten. Karls 1935 ausgewanderter Neffe Hans Ludwig (Hal) Gottschalk wurde im September 1938 mit dem Versuch beauftragt, zwei Cousinen von Lisbeths Mutter, die in Texas verheiratet waren, aufzuspüren.

In der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden Karl Gottschalk und der erst 17jährige Rudolph inhaftiert. Sie wurden nicht in Buchenwald sondern im Polizeigefängnis Hannover festgehalten; die 15jährige Ilse brachte Karl täglich die Medikamente, die er als Diabetiker brauchte. Nach Karls und Rudolphs Freilassung gelang es der Familie, Anfang 1939 die Ausreise der beiden Kinder nach England mit Hilfe des „Kindertransports“ (Ilse) und persönlicher Kontakte (Rudolph) zu organisieren.

Im Januar 1939 erhielten Karl und Lisbeth ein Permit für die Auswanderung nach England. Diese Aussicht führte sie wohl dazu, im März 1939 eine Einladung nach Luxemburg von einem dorthin ausgewanderten Bekannten auszuschlagen. Zu dem Zeitpunkt hatte Karl sein Haus in der Richard Wagnerstraße verkauft und die Liquidation der Berend & Gottschalk Bank war eingeleitet. Die finanzielle Situation der Bank war sehr ungünstig, da Karl laut Familienbriefen von den widrigen Umständen wohl wie gelähmt war. Sein Bruder Fritz half, einen Bankrott zu vermeiden, in der Hoffnung, Karl und Lisbeth würden dann ohne Schuldenlast auswandern können. Die für Oktober 1939 genehmigte Ausreise gelang ihnen aber wegen des Kriegsausbruchs nicht mehr.

Karl und Lisbeth wurden 1941 zwangsweise in der Heineman-Stiftung („Judenhaus“) untergebracht und am 15. Dezember 1941 nach Riga deportiert. Ihr Umzugsgut wurde 1942 in Bremen versteigert.

Karl Gottschalk starb 1943 in Riga, Lisbeth Gottschalk 1944 im KZ Stutthof bei Danzig.

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Lisbeth Gottschalk mit Tochter Ilse 1925, Hannover (Privatbesitz Tom Schuster)

 

Autorin: Edel Sheridan-Quantz, Hannover
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Über das Projekt „Deportationen aus Nordwestdeutschland“